Krank als Mutter



Es ist 7:00 Uhr morgens.

Ich bin krank. 

Und wach seit 5:00 Uhr. 

In der Nacht zuvor bin ich dreimal aufgestanden, um das weinende Baby zu beruhigen und habe dabei meinen trockenen Husten so stark unterdrückt, dass mir fast die Augäpfel implodiert wären. 


Nun sitze ich mit dem Gefühl, als ob mich jemand mit einer Schaufel verhauen hätte am Frühstückstisch und versuche Brot und Obst in das meckernde Baby zu bekommen. 


Oben streiten sich Mann und Kind über die richtige Reihenfolge beim Sockenanziehen, die Katze maunzt gottsjämmerlich, da 3,4 Brekkies zu wenig Futter in ihrem Napf sind. 

Mein Kopf explodiert dank diesem Sammelsurium aus Geräuschen. 


Mit tränenden Augen wende ich mich wieder dem Baby zu. Selbes spuckt das grade gekaute Frischkäsebrotstückchen in ihre kleine Hand und verteilt es dann fein säuberlich in den Haaren. 


Das Baby hat morgen Geburtstag. 

Ich möchte also einkaufen und backen und alles irgendwie schön herrichten. 

Mal abgesehen davon, dass ich putzen und das Haus aufräumen muss.

In mir drin höre ich, wie das Fieber laut lachend meine Bronchien umarmt.


Mit wackeligen Beinen stakse ich durch die Küche und erwische mit meinen brennenden Augen einen Blick auf ein immerhin negatives Corona Test Ergebnis.


Eigentlich wäre ich heute dran, die Große in den Kindergarten zu bringen. Der Mann übernimmt. 

Ich niese ihm ein bazillenreiches Danke entgegen und friemele dem Baby das Brot aus den Haaren. 


Die beiden gehen, ich schnappe das Baby, gurte sie unter großer Empörung in ihrer Wippe im Bad fest und versuche so etwas wie Leben in mein Gesicht zu bringen und mir die Zähne zu putzen. 


Das Baby meckert, sie hat ihr Spielzeug aus der Wippe fallen lassen. 

Ich muss es ihr mit den Füßen aufheben, denn an meinen Händen klebt Make Up. 


Hoffnung hab ich also für den bleichen Pfannenkuchen, der im Moment mein Gesicht darstellt. 

Könnte damit aber auch 1a das Cover irgendeiner Doom-Indie-Gothic Newcomer Band mit dem klangvollen Namen „Schmutz“ schmücken. 

Wir spielen dann bedeutungsschwangere Songs wie „im Morgentau mein Blutdruck stieg“ oder „es troff Rotz wie Blut nach Metzgers Messerschlag“. 

Aber ich schweife ab. 


Aus meiner imaginären Künstlerinnenkarriere holt mich ein paar Minuten später der Mann via WhatsApp.  

Er hat den Gehörschutz und die Hausschuhe der Großen vergessen, typisch Montagmorgen also. 


Ich pflücke kurz darauf das die Wohnung verwüstende Baby vom Boden, putze ihr die Zähne, messe erneut mein Fieber, überprüfe ein letztes Mal die Einkaufsliste und besteige dann mit dem gar nicht begeisterten Spross meiner Lenden und Freund Schüttelfrost das Auto. 


Die erste Station ist der Kindergarten, in den ich der Großen die vergessenen Sachen hinterher bringe. 


Dann geht es durch den Aldi. 

Hier ist jede Rentnerin und jeder Rentner diesseits der Stadt verabredet und schiebt die Rollatoren so langsam wie der zäh fließende Rotz in meiner Nase durch die Gänge.


Das Baby meckert, sie ist müde. 

Ich allerdings auch und ich muss diese Liste abarbeiten. 


Bevor ich den Laden aber endlich mit unseren Einkäufen verlassen kann, hält man mich logischerweise aber erstmal für eine Mitarbeiterin, was sehr viel Sinn macht, mit einem Baby um den Bauch geschnallt und den roten Klüsen einer sterbenden Giftnatter. 


Jedenfalls muss ich mir dann erstmal den „gestern war die Funktionsjacke aber noch da!“ fordernden Rentner von den Hacken schaffen. 

Ich könnte ausflippen. 

Meine Augen tränen stärker, Rotz tropft in meine Maske. 

Für soziale Interaktionen mit rüstigen Rentnern auf Fieber mit brüllendem Baby habe ich heute einfach nicht die Kraft. 


Nach Bezahlen, Einladen bei 200 Grad Außentemperatur, Wagen wegbringen und protestierendem Baby Anschnallen, ist der nächste Stopp die Apotheke. 

Fast muss das Baby mich in der Trage da rein tragen. 


Es hilft jetzt nur noch ein medikamentöser Radikalschlag, wer es sich leisten kann und die Zeit hat, ist sicher mit Tee und Ruhe im Bett am besten aufgehoben; ich werde dem Bett heute maximal aus der Ferne winken können. 


Natürlich schläft das Baby dann auf den exakten 10 Minuten Rückfahrt von der Apotheke nach Hause ein und ist dann wieder putzmunter. 

Keine Pause für Mama, schade Marmelade. 


Ich schleppe also Baby und Einkäufe ins Haus, wohl wissend, dass die nächsten Stunden für uns beide eine Qual werden. 


Mein Fieber ist gestiegen, teilt mir das Thermometer nach erneuter Messung mit. 

Nun schnell die Medikeule rein, dann die Einkäufe einräumen, Wickeln, Mittagessen kochen. 


Es wäre eventuell untertrieben zu sagen, dass das heute alles hart anstrengend ist. 


Beim Mittagessen möchte das Baby nicht richtig essen. 

Ich verzweifle, ein müdes und hungriges Baby, dass aber noch die kompletten Kita Abholungs-Fahrt mitmachen muss, ist so ziemlich das Letzte, was ich im aktuellen Zustand gebrauchen kann. 


Immerhin wirken die Medikamente. 

Ich komme mit dem mir umgeschnallten Baby sogar dazu, Wäsche zu machen, den vom erfolglosen Mittagessen gezeichneten Esstisch wieder aufzuräumen, die untere Etage staubzusaugen und den Flur zu wischen. 


Jetzt suche ich das Sauerstoffzelt. 

Mir läuft der Schweiß und der Rotz, meine intelligente Uhr fragt, ob ich grade trainiere, meine Herzfrequenz sei so hoch. 


Ich setze mich mit dem Baby auf den Wohnzimmer Boden. Der ist schön kühl. 

Das Baby möchte spielen. 

Allerdings bin ich nur fähig, die Holzeisenbahn mit einem geröchelten „Tschu-Tschu“ hin und her zu schieben. 


Es ist 13 Uhr. 

Nach diesem extrem spannenden Zugabenteuer geht es wieder los, ab ins Auto, auf zum Kindergarten. 

Das große Mädchen wartet. 


Im Auto herrschen 50 Grad, ich verfluche Sonne und Sommer noch mehr als sonst und versuche gleichzeitig das Baby dazu zu überreden, sich anschnallen zu lassen. 


Nachdem wir im Kindergarten die Große unter großem Missfallen eingesammelt haben, „Mami, ich wollte grade putzen!“ („Gern mein Schatz, Putz doch zuhause weiter…“ - „Nein, da ist es Kackwurst-langweilig!“), macht das Baby wieder Anstalten auf der Heimfahrt einzuschlafen. 


Mit lautem Singen, bei dem sich meine Stimme anhört, als ob ich sie in einer 200 Jahre alten, rostigen Gießkanne waterboarde, halte ich das Baby einigermaßen wach, aber natürlich ist über diesen musikalischen Kraftakt nun die Große verärgert. 

Klar, der Kindergarten Tag war laut und anstrengend, sie braucht ihre Ruhe, Bedürfnisse kollidieren, wie so oft in meinem kleinen Auto auf der Heimfahrt, ich weiß.


Trotzdem hat mein angegriffenes Nervenkostüm heute keine Geduld dafür. 

Ich motze mit der Gießkannenstimme rum und erkläre der Großen im Befehlston, dass sie jetzt gefälligst mit uns ins Haus zu kommen und Hände zu waschen hat. 


Im Haus drin verfrachte ich das große Mädchen mit Apfel und Butterbrot vor ihre Lieblingsfolge Bibi Blocksberg und gehe dann nach oben, um das müde Baby hinzulegen. 


Unfassbar glücklich bin ich, als sie innerhalb einer Viertelstunde einschläft. 

Wirklich, dieses Gefühl, jetzt mal kurz nicht auf jemanden aufpassen zu müssen, sich in Kamikaze Manier irgendwo rein/runter/drauf/drüber zu stürzen, ist goldwert. 


Aus meiner Nase läuft derweil ein permanentes Rinnsal Rotz, dass sich weder wegschnäuzen, noch mit Nasenspray wegsprühen lässt. 

Ergo stecken nun zwei Fetz Klopapier zu einer Art selfmade Tampon gerollt in meiner Nase. 


Ich nehme das Babyfon mit nach unten, entschuldige mich bei der Großen für den harschen Ton und hole uns beiden ein Eis. 

Schmecken tue ich nada, aber es tut gut, was zu essen. 


Findet der Medikamentencocktail in meinem Bauch nicht und verpasst mir prompt, als ich mich aufs Sofa gesetzt habe, einen ordentlich Warnhinweis, jetzt schnell aufs örtliche Klo zu wechseln. 


Statt mal fünf Minuten auf der Couch auszuruhen, verbringe ich diese also auf dem Klo, aber hey, wären die plötzlichen Bauchkrämpfe nicht, wäre es fast schon einfach nur schön irgendwo zu sitzen. 


Es ist 15:30 Uhr 

Das Baby ist wieder wach. 

Das große Kind ist sauer, dass das Baby wieder wach ist. 

Die Stimmung im Haus gleicht dem verkaterten Jahreskegeltreffen von Clubanimateuren auf Steroiden. 


Ich habe keine Kraft mehr für gar nichts. 

Nichtsdestotrotz backe ich noch einen Geburtstagskuchen fürs Baby, koche das Abendessen vor und versuche dem großen Kind zu beantworten, wie Wolken gemacht werden. Selbstverständlich sitzt bei all diesen Aktivitäten das Baby in der Trage, was meinem Rücken so gar nicht gefällt. 


17 Uhr 

Ich will einfach nur noch, das der Tag rum ist und der Mann nach Hause kommt. 

Die Kinder auch. 

Das Fieber und Kollege Schüttelfrost auch. 

Qualitativ ist von mir heute nichts mehr zu erwarten. 


Manchmal schafft man es eben nur, dass alle den Tag überleben. Und das ist okay.

Das schlechte Gewissen beißt trotzdem. 

Das Baby hat morgen Geburtstag, schreit es. 


Als alle Menschen unter 1,20m im Bett sind, versuche ich mit zitternden Fingern den Geburtstagszug mit Zahl und Kerzen zu schmücken und die vom Mann eingepackten Geschenke schön am Platz der Jubilarin am Esstisch zu drapieren. 

Zuletzt rühre ich noch den Guss für den Kuchen an. 


Wenig später sinke ich auf die Couch mit der Frage: 

Warum gibt es eigentlich keine Krankentage für Mütter? 


Ist das nicht hauptbetreuuende Elternteil krank, reicht er/sie bei der Arbeit ne Krankmeldung ein und geht ins Bett. 

Das geht dann, weil da eben schon jemand zu Hause ist und Kinder und Haushalt, Einkäufe und Organisationen übernimmt. 

Man kann die eigene Gesundheit priorisieren und sich (mehr oder weniger) auskurieren, um wieder einsatzbereit in die Erwerbsarbeit zu starten. 


Wo und vor allem wann ist in diesem ganzen System Mutterschaft eigentlich Erholung bei Krankheit für Mütter (oder dem hauptbetreuuenden Elternteil) vorgesehen?





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